Rezension: Monsieur Rainer- Commissaire Carlucci- Der Sizilianer-

Die bösen Vorahnungen, die sich zum Ende der Zeit, als Carlucci, der Commissaire noch Leiter der "Wilden Brigarde" war, nachzulesen in der Episode "Der Pate von Nizza" in der gleichnamigen Krimireihe Commissaire Carlucci, diese düsteren Vorboten sind tatsächlich eingetroffen. Die Wirkung dieses schicksalhaften Niederschlags war von einer derartigen Dimension, dass es den ausgebufften Commissaire der Police national, der ja als gebürtiger Sizilianer doch so manche Niederträchtigkeit in seinem jahrzehntelangen Polizistenleben wegstecken musste, der Länge nach hingeschlagen hat. Bei Boxern spricht man in so einem Fall von einem k.o., zustande gekommen durch fiese, hinterhältige Tricks, die bei Kirmesveranstaltungen besonders gerne vom blutrünstigen Publikum gesehen werden. Carlucci wälzt sich im Sand, und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Was war geschehen?

Die Innenministerin hatte mit Carluccis Dienstwaffe, die er achtlos im Handschuhfach seines Dienstwagens verstaut hatte, als er Madame vom Flughafen zu ihrem heimatlichen Domizil nach St. Jean de Luz bringen wollte, im Zustand tiefster Depression ihrem Leben ein Ende gesetzt. Möglich war dies nur, da er sie in seinem Wagen an ihrem Lieblingsstrand, für einige Minuten der Selbstfindung, wie sie es sich erbat, alleine gelassen hatte, nicht ahnend, dass diese ehrbare Politikerin, nach all den verschwörerischen Intrigen und ihrer Verschleppung durch skrupellose Mafiosi, für sich keine Möglichkeit mehr sah, ihre Reputation wieder makellos herzustellen. Aus diesem unprofessionellen Umgang mit seiner Dienstwaffe wurde Carlucci der Strick gedreht, an dem man ihn baumeln sehen wollte. Dies war die Gelegenheit, ihn für alle Zeiten zu entsorgen, niedergeschmettert mit einer unehrenhaften Entlassung, ausgestattet nur mit einer Minimalrente, die kaum den monatlichen Konsum von seinen Gitanes deckt. Wahrlich eine Kanonade unter die Gürtellinie, und das nachdem er sich dutzendhaft für die "Grande Nation" eingesetzt hatte, sich nicht zu schade war, auch das dreckigste Rattenloch auszumisten, dabei sich mit dem höchst verkommenen Gesindel, das man auf Gottes Erdboden findet, herumschlug, wenn sein Job es von ihm verlangt hat.

Dann ging alles ganz schnell. Binnen Stunden war er alles los, was jemals für ihn eine Bedeutung hatte. Seine Identität als einer der erfolgreichsten commissaire Frankreichs, seinen Ausweis nebst Dienstwaffe, seine Autorität gegenüber jedermann, seine Fürsorglichkeit für seine Mitarbeiter, alles löste sich in Luft auf, und zurück blieb eine leere Hülle, die dem früheren Carlucci noch nicht einmal äußerlich annähernd ähnlich sah. In den Kneipen rund um den Blumenmarkt, nahe der Altstadt von Nizza wird ein versoffener, abgerissener Penner wahrgenommen, der jeden Clochard in ganz Paris hätte alt aussehen lassen, wenn Carlucci schon morgens, anstatt eines café, sich mit billigem Rotwein die Kugel gibt, natürlich aufgewärmt, die Dröhnung der letzten Nacht ist ja noch gar nicht verdaut. Das Personal in den Restaurants an dem Platz, wo man an der ganzen Cote d´ Azur zweifellos die schönsten Blumengebinde ersteht und es sich auch wunderbar die attraktiven Einwohnerinnen der ach so italienisch anmutenden Metropole der Cote beim Einkauf beobachten lässt, diese Jungs fluchen verächtlich vor sich hin, wenn der alte Säufer, wieder einmal gegen Mittag, natürlich wie immer ohne einen Sous zu hinterlassen, sternhagelvoll zum Strand an der Promenade d´ Anglais wankt, um sich mit seinen abgerissenen Klamotten in den Sand zu werfen, ohnmächtig überhaupt noch irgendetwas um sich herum zu erkennen. Alle Kneipiers lassen das unwürdige Schauspiel nur gewähren, weil sie wissen, dass am nächsten Ersten der Suffkopp für die Unmengen der vernichteten "Rouge" seine letzten Scheine der Rente hinblättert und dass es dabei aber noch nie zu einem Rückstand gekommen ist. Wie der Alte sich die Wohnung unmittelbar über eines dieser Restaurants, an so begehrter Stelle nicht unweit der Promenade und des berühmten Hotels Negresco leisten kann, ist für jedermann ein einziges Rätsel.

Allein seiner Tochter Lucia verdankt Carlucci es, dass er überhaupt noch ein Dach über dem Kopf hat. Nachdem sie gegen seinen Wunsch Jean de Sobieski, den Colonel des militärischen Geheimdienstes, den sie im Zuge ihrer Tätigkeit als Sonderstaatsanwältin bei der "Wilden Brigade" kennen und lieben lernte, ihm nach der Eheschließung auf sein Anwesen in der Nähe von St. Tropez gefolgt ist, um dort Mutter einer Tochter zu werden, hat sie ihren Vater erweichen können, in ihre leerstehende Eigentumswohnung zu ziehen. Dieses war keineswegs einfach, denn Carlucci hat nach dem Rausschmiss aus dem Dienst einen totalen Blackout gehabt. Sofortige Trennung von der Familie, seinen Freunden und guten Bekannten, Trennung von allem was ihm einst lieb und teuer war. Allein die Trunksucht und seine Gitanes sind ihm geblieben. So konnte Lucia wenigstens für eine feste Bleibe sorgen, ohne die Carlucci schon längst verendet wäre.

Spät, aber nicht zu spät, greift das Schicksal erneut in das Leben des gestrandeten commissaire ein. Carluccis Enkeltochter wird entführt. Dieser Umstand alleine ist ausschlaggebend, dass der Verzweifelte in die Realität zurückkehrt. Wie von einem starken Stromstoß durchfahren, bäumt sich der Niedergestreckte auf. Mit einem Schlag sind sein unbändiger Wille, aber auch sein Hass und seine Gefährlichkeit wieder da. Seine Achtung vor dem Gesetz allerdings hat er für alle Zeit verloren. Davon ist er zutiefst überzeugt. Die Aussicht seine Enkelin vielleicht nie mehr lebend zu sehen, macht ihn rasend. Was jetzt kommt, ist einem Ausbruch des Ätna nicht unähnlich, beides zeugt von sizilianischer Urgewalt, mögen auch die Dimensionen auf Anhieb recht unterschiedlich anmuten.


An dieser Stelle will ich die Besonderheiten eines Carlucci-Krimis von Monsieur Rainer nicht schon wieder runterbeten. Immerhin ist es mir bis dato mehrmals vergönnt gewesen, einige Romane dieser Reihe zu lesen und ihre Vorzüge kundzutun. Allein diese Tatsache zeigt schon, dass es sich hierbei um spannende, unterhaltsame, aber auch wirklichkeitsnahe Texte handelt, denn nichts ist dröger als ein Krimi, der seinen Leser nicht richtig antörnt, und kein Mensch tut sich dann auch noch die Wiederholung einer solchen Langweile an. Dieses mute ich mir jedenfalls nicht zu. Im vorliegenden Fall aber wäre es ein grobes Versäumnis gewesen, nicht zum nächsten Band gegriffen zu haben. Dieser Carlucci hat immer wieder etwas Neues auf der Pfanne, dank Monsieur Rainer und seinem scheinbar unerschöpflichen Reservoir an Phantasie, Wissen und Erzählkunst.

Hiermit schließe ich mich meinen früheren Empfehlungen an.

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